Tango mit Enzensberger

Der Schauspieler Andreas Hutzel und das Quartetto Sonortango mit einem berührenden Programm in der MuK

Von Selma Schiller

Andreas Hutzel (M.) und das Quartetto Sonortango mit Margareta Storonianska, Mateusz Goraj, Rocco Heins und Yuki Matsumoto (v. l.).

Lübeck. Der kleine Saal der MuK ist am Sonntagabend beinahe bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Konzertreihe „MuK. Neue Horizonte“ präsentiert regelmäßig außergewöhnliche Konzertprogramme, die zum Staunen und Entdecken einladen. An diesem Abend sind der Schauspieler Andreas Hutzel und das Quartetto Sonortango zu Gast.

Die Künstler präsentieren ein Programm, das Texte von Hans Magnus Enzensberger und Erich Mühsam mit neu interpretierter Tango-Musik verbindet, der Titel lautet „Der Eisberg – Titanic 2.0”. Da kommt man natürlich sofort ins Nachdenken, und tatsächlich, auch ums Klima und andere menschliche Katastrophen soll es an diesem Abend gehen.

Doch zuerst herrscht eine lockere Stimmung, die vier Musiker des Quartetto Sonortango sind gut drauf und SchauspielerAndreas Hutzel vom Theater Lübeck witzelt mit dem Publikum noch über sein Ritual vor Auftritten: „Also vor solchen Auftritten gehe ich ja immer noch auf die Toilette, genauer gesagt aufs Pissoir, und wenn ich dann hoch schaue und direkt über mir ist eine Lampe, dann weiß ich, es wird gut.“ Und gut soll es tatsächlich werden, auch weil das Ensemble es versteht, die bedrückenden Texte zwischendurch mit kleinen Witzen immer wieder aufzulockern.

Denn obwohl Enzensbergers Text im Untertitel als Komödie bezeichnet wird, so ist er doch alles andere als lustig. Es geht um den qualvollen Tod, der die meisten Passagiere auf der „Titanic“ erwartet hat, um die gesellschaftlichen Hierarchien an Bord und um die Frage, wie Menschen angesichts einer solchen Katastrophe handeln. Die ganz großen Fragen also, vielleicht so aktuell wie nie.

Andreas Hutzel trägt die Gedichte mitreißend vor und wird dabei vom großartigen Quartetto Sonortango unterstützt. Die vier Musiker präsentieren eine ganz neue Tango-Sprache, die nicht nur ziemlich virtuos ist, sondern vor allem eine große emotionale Wirkung hat.

Zwischendurch fühlt man sich tatsächlich an Bord der „Titanic“ versetzt, wo das anwesende Streichquartett bis zum Schluss nicht aufhörte zu spielen, um den Menschen Trost zu spenden. Nach den einzelnen Texten und Stücken ist es im Publikum andächtig still, bis Hutzel die Spannung auflöst: „Es darf auch geklatscht werden!“ – und das wird es dann auch.

Die besonderen Klangfarben des Ensembles sind wohl auch der außergewöhnlichen Besetzung zu verdanken. So sind nicht nur der Kontrabass und die Gitarre vertreten, sondern auch das an ein Akkordeon erinnernde Bandoneon und die ukrainische Lautenzither Bandura. Beide Instrumente sind ziemlich selten, sie haben aber noch eine weitere Gemeinsamkeit: So wurde das aus Deutschland stammende Bandoneon von den Nazis verboten, das Spiel der ukrainischen Bandura wird momentan in Russland verfolgt. Ein großes Glück also, gleich beide Instrumente in der MuK zu Gehör zu bekommen, exzellent gespielt von Rocco Heins am Bandoneon und der gebürtigen Ukrainerin Margareta Storonianska an der Bandura.

Obwohl das Thema nicht ganz leicht verdaulich ist, bleibt auch Platz für Humor. So gibt es als kleine Zwischeneinlage etwa Erich Mühsams „Gesang der Vegetarier“ zu hören und das Publikum kann erleichtert auflachen. Einzig die vielen privaten Witzchen der gut befreundeten Musiker untereinander nehmen hier und da vielleicht ein bisschen Spannung raus, wo sie durchaus angebracht gewesen wäre.

Nach einem solchen Abend voller gemeinsam erlebter Emotionen bleibt jedoch vor allem eines übrig: ein Stückchen Hoffnung. Darauf, dass man zusammen vielleicht doch noch das Ruder rumreißen kann und dieses Mal nicht mit dem Eisberg kollidiert.

Quellenangabe: Lübecker Nachrichten vom 10.10.2023, Seite 27